ADHS – ein paar Grundlagen
Was ist ADHS?
ADHS steht für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (in Englisch meist ADHD: attention deficit hyperactivity disorder). ADHS ist keine Krankheit – und daher auch nichts, was geheilt werden müsste oder könnte. Es beschreibt vielmehr eine Störung der Stoffwechselprozesse im Gehirn, welche sich insbesondere auf die Filterung von Reizen auswirkt. Betroffen sind vor allem die Exekutivfunktionen wie z.B. Impulskontrolle, Aufmerksamkeitssteuerung und das Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis.
Unsere Netzwerke im Gehirn werden durch Botenstoffe, sog. Neurotransmitter, gesteuert. Bei ADHS werden v.a. zwei Neurotransmitter nicht effektiv ausgeschüttet und wiederaufgenommen: Dopamin und Noradrenalin. Für die Exekutivfunktionen ist der Dopaminhaushalt massgebend. Dopamin bleibt bei Menschen mit ADHS zu wenig lang aktiv. Zudem gibt es Hirnscans, die auf eine verminderte Dopaminproduktion im Belohnungssystem von Erwachsenen hindeuten.
ADHS oder ADS?
Früher wurde noch häufig unterschieden in ADHS und ADS, wobei bei letzterem die Hyperaktivität nach aussen nicht so sichtbar war. Heute verwendet man allgemein den Begriff ADHS, wobei man in der Diagnostik die Untertypen “vorwiegend hyperaktiv-impulsiv”, “vorwiegend unaufmerksam” (ehem. ADS) und den “kombinierten Typus” unterscheidet. Bei weitem entsprechen nicht alle Menschen mit ADHS dem typischen Zappelphilipp, das Karussell kann sich genauso gut im Kopf und in den Gedanken abspielen. Insbesondere bei Mädchen und Frauen ist dies auch der Grund, warum ADHS oft nicht oder erst sehr spät erkannt wird.
Ursachen von ADHS & ADHS bei Erwachsenen
Die Ursachen für ADHS sieht die Forschung heutzutage zu einem sehr grossen Teil (> 80%) in genetischen Faktoren, d.h. ADHS ist erblich und tritt familiär gehäuft auf. Daneben gibt es auch noch Umweltfaktoren, die das Auftreten von ADHS beeinflussen. Je nach Land und Studie unterscheidet sich die vermutete Häufigkeit von ADHS in der Bevölkerung. Man geht heute von einer Verbreitung von rund 5-9% bei Kindern und 3-5% bei Erwachsenen aus.
Lange Zeit dachte man, ADHS sei nur ein Phänomen bei Kindern und Jugendlichen. Heute weiss man, dass die Symptome von ADHS nicht verschwinden, doch viele Menschen entwickeln im Laufe des Lebens Strategien, um besser damit umgehen zu können. “Mit viel Kraftaufwand können sie oft einiges ausgleichen und sich […] in einer Welt zurechtfinden, die […] für anders tickende Menschen gemacht ist.”¹ Schätzungsweise 65-75% der Betroffenen sind auch im Erwachsenenalter noch mit ADHS-typischen Problemen konfrontiert.

ADHS bei Frauen
Frauen erleben ADHS zumindest teilweise anders als Männer. Die bei Jungs oft auffällige Hyperaktivität lässt sich bei Mädchen weniger oft beobachten. Der “vorwiegend unaufmerksame” ADHS Typus bei Mädchen fällt weniger auf – “sie ist halt ein bisschen verträumt”. Erwachsene Frauen erfahren nicht selten über ihr eigenes ADHS wenn es bei ihrem Kind diagnostiziert wird und oft ist es dann endlich DIE Erklärung nach vielen Jahren des “sich anders Fühlens”, von Masking und Kompensationsstrategien, die viel Energie und Zeit kosteten. Es scheint auch so, als wären Mädchen schneller in der Lage, ihre ADHS Symptome zu kontrollieren oder zu unterdrücken, insbesondere wenn sie hören, ihr Verhalten sei “für Mädchen nicht angemessen”.
Das Thema ADHS bei Frauen wurde zu einem meiner Herzensthemen und ich beschäftige mich zunehmend mit neuen Forschungen und Erkenntnissen dazu. Abgesehen von den anders wahrnehmbaren Symptomen kommen mit dem weiblichen Zyklus und dem Hormonhaushalt noch weitere Faktoren hinzu, die Einfluss auf das Leben mit ADHS haben. So berichten beispielsweise viele Frauen, dass ihre sonst typischen Symptome in der Schwangerschaft beinahe verschwunden sind und dafür in der Menopause verstärkt auftraten. Auch weiss man heute, dass ADHS Medikamente in unterschiedlichen Zyklusphasen unterschiedlich stark wirken.
Stärken von ADHS
Ganz wichtig zu erwähnen ist, dass ADHS auch sehr viele positive Eigenschaften und Stärken mit sich bringt, die viele Betroffene nicht missen wollen würden. So sind ADHSler:innen oft begeisterungsfähig, kreativ und haben die Fähigkeit, Dinge aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen. Sie erkennen Zusammenhänge und Funktionsweisen schnell und umfassend. Ich kenne viele, die äusserst hilfsbereit, sozial, empathisch und grosszügig sind, sich unheimlich gut in andere einfühlen können und gegen Ungerechtigkeit einstehen. Ein Hyperfokus kann auch durchaus hilfreich und positiv sein, weil man sehr konzentriert und effizient arbeitet, sofern man eine spannende Tätigkeit ausübt. Und in brenzligen Situationen, wo manche neurotypische Menschen teils überfordert oder blockiert sind, wachsen ADHSler über sich hinaus. So gibt es beispielsweise hervorragende Notfallärzt:innen, Pilot:innen, Bergführer:innen, usw. mit ADHS. Auch Künstler:innen, Musiker:innen, Schauspieler:innen und Spitzensportler:innen haben nicht selten ADHS.
Im Coaching ist es mir wichtig, mit den Stärken der Klient:innen zu arbeiten und diese dafür zu nutzen, um funktionierende Strategien und Tools zu finden, mit denen man den Herausforderungen und Problemen erfolgreich begegnen kann.
Links / weiterführende Informationen und empfehlenswerte Quellen
adhs20+
Schweiz. Info- und Beratungsstelle für Erwachsene mit ADHS
adhs20plus.ch
elpos
ADHS-Organisation elpos Schweiz
elpos.ch
Schweizerische Fachgesellschaft ADHS
sfg-adhs.ch/
ADHS Spektrum
Blog und Community von Dr. Martin Winkler, toller Newsletter!
adhsspektrum.com
ADxS
ADHS Kompendium, Wiki
adxs.org
ADHS Family
Hilfe für Eltern / Familien
adhshilfe.net
Gemeinsam ADHS begegnen
Grosses Infoportal
gemeinsam-adhs-begegnen.de
Quellen:
- ¹ Kirsch / Haible-Beer (2024): Therapie-Tools. ADHS im Erwachsenenalter. 2. Auflage, Beltz Verlag.
- Boreatti / Rudolph (2022): Frauen mit ADHS und der Blick auf ihre besondere Welt. Informationsbroschüre, Gemeinsam ADHS begegnen.
- Janssen-Cilag AG (2016): Sprunghaftes Genie und kreative Chaotin. Informationsbroschüre.
- Ryffel-Rawak (2007): ADHS bei Erwachsenen. Betroffene berichten aus ihrem Leben. 2. Auflage, Verlag Hans Huber.